Stress an der Leine- Warum zeigt mein Hund eine Leinenaggression?
Zeigt Ihr Hund Aggressionen, wenn er an der Leine geführt wird, im Freilauf jedoch nicht? Tritt diese Aggression insbesondere gegenüber anderen Hunden auf? Und zeigt er sein aggressionstypisches Verhalten ausschließlich an der Leine? Dann sprechen wir von einer Leinenaggression.
Fühlen sich Hunde gestresst, so suchen sie nach einem Ventil, um ihrem angestauten Frust Luft zu verschaffen. Für Sie als Hundehalter ist es also wichtig, diese Stressanzeichen schon so früh wie möglich zu erkennen. Ist ein Hund gestresst, wird er versuchen, auf die stressauslösende Situation zu reagieren, indem er versucht, zu fliehen. Es kann auch passieren, dass er vor Angst erstarrt oder seine Aufmerksamkeit ganz plötzlich auf einen anderen Reiz richtet (Übersprungshandlung). Führen diese Strategien nicht zum Erfolg, bleibt dem Hund nur noch eine Möglichkeit, die Situation zu beenden: Er geht in den Angriff über.
Warum zeigt mein Hund aggressives Verhalten an der Leine?
Führt ein bestimmtes Verhalten für den Hund zum Erfolg, so wird er es zukünftig weiterhin zeigen und zwar auch in ähnlichen Situationen und tendenziell in der Intensität steigend. Ermöglichen wir als Halter und Bindungspartner unserem Hund nicht, aus der Situation zu entfliehen oder bieten ihm keine andere Bewältigungsstrategie, so wird er folglich irgendwann den Angriff und damit die verbundenen aggressiven Verhaltensweisen als Ventil nutzen, um sich selbst zu schützen.
Wie so häufig sind auch hier unterschiedliche Gründe möglich, die dazu geführt haben, dass Ihr Hund eine Leinenaggression entwickelt hat. Es ist zudem nicht unwahrscheinlich, dass eine Kombination aus mehreren folgenden Ursachen an der Entstehung des Problems beteiligt sind.
Fehlverknüpfungen
Im Hundetraining machen wir uns die Konditionierung zunutze, wenn wir ein erwünschtes Verhalten „Sitzen“ mit einem positiven Verstärker „Leckerli“ verknüpfen und später mit einem Wortsignal „Sitz“ in Verbindung bringen. Im Training ist dies geplant und erwünscht. Im Alltag kann eine klassische Konditionierung jedoch auch ungeplant entstehen, nämlich dann, wenn wir unserem Hund einen Leinenruck geben. Sieht Ihr Hund zufälligerweise im gleichen Moment einen anderen Hund, verbindet er ihn mit dem schmerzhaften Gefühl, welches durch den Leinenruck ausgelöst wurde und andere Hunde werden zukünftig zum Ankündiger für Schmerz.
Negative Erfahrungen
Auch negative Erfahrungen und Angst können zum Auslöser einer Leinenaggression werden. Erinnern wir uns an das weiter oben genannte Beispiel: Erlebt Ihr Hund eine traumatische Situation, in der er beispielsweise aus heiterem Himmel von einem anderen Hund attackiert wird, während er sich selbst an der Leine befindet, und kann weder fliehen, noch führen andere deeskalierenden Maßnahmen zum Erfolg, so wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als in seiner ausweglosen Situation in den Angriff überzugehen, was sich in einer Leinenaggression äußert.
Frustration
Befindet sich Ihr Hund an der Leine, ist er in seinem Handeln eingeschränkt und kann sich nicht immer so bewegen und ausdrücken, wie er gerne würde. Insbesondere, wenn es darum geht, mit anderen Hunden zu interagieren, kann es für einige Hunde schwierig werden, ihren Frust zu kontrollieren. Arbeitet man bei diesen Hunden nicht ausreichend an ihrer Frustrationstoleranz, kann auch das Beobachten von spielenden Hunden dazu führen, dass Ihr Hund in die Leine springt. Versuchen Sie, entsprechende Übungen zur Ausweitung dieser Toleranz in Ihren Alltag zu integrieren.
Stimmungsübertragung
Wenn Hundehalter bereits negative Erfahrungen mit aggressivem Verhalten gesammelt haben, fällt es ihnen tendenziell schwerer, ihre eigene Stimmung zu kontrollieren und damit als sichere und souveräne Führungsposition für den eigenen Hund aufzutreten. Ist Ihr Hund ohnehin schon ängstlich unsicher, verstärken Sie seine Stimmung und Bereitschaft, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen und die Situation durch ein Hervorschießen und Bellen an der Leine zu lösen, wenn Sie sich selbst ebenso fühlen. Gehen Sie stattdessen aufrecht, atmen vor einer Hundebegegnung mehrmals tief durch und verzichten Sie darauf, die Leine aus eigener Anspannung heraus mehrfach um Ihr Handgelenk zu wickeln. Denn das Verkürzen der Leine erzeugt Zug und Druck beim Hund und Druck erzeugt immer auch Gegendruck, auch Oppositionsreflex genannt.
Schmerzen
Haben Sie in der letzten Zeit bemerkt, dass Ihr Hund vermehrt Abstand zu anderen Hunden sucht? Hunde, die Schmerzen haben, alt oder gebrechlich sind, sich nicht richtig wehren können, weil ihr Körper gerade einfach nicht mehr richtig mitmacht, halten andere Hunde möglicherweise durch aggressive Verhaltensweisen auf Abstand. Um einer Spielaufforderung, die sich in einem Anspringen äußern und damit durchaus freundlich gemeint sein, beim Gegenüber aber Schmerzen auslösen kann, zu umgehen, ist eine Distanzvergrößerung und damit eine Schmerzvermeidung die bessere Wahl. Beobachten Sie Ihren Hund genau und gehen Sie bei Verdacht auf Schmerzen bitte unbedingt zu Ihrem Tierarzt des Vertrauens.
Fehlende Strukturen und Rituale
Es kann aber auch schlicht und einfach der Fall sein, dass ein Hund nie gelernt hat, wie er sich anderen Mensch-Hund-Teams nähern sollte. Es wurden nie Regeln oder Strukturen und Rituale in den Spaziergang etabliert. Kennt ein Hund keine Regeln, wird er selbst ausprobieren und lernen, welches Verhalten für ihn zum Erfolg führt – nicht aber, welches Verhalten wir uns von ihm wünschen. Vielleicht hat Ihr Hund auch einfach Freude dabei, andere Hunde zu verbellen, da er sich durch die damit verbundene Testosteronausschüttung als Überlegenen sieht und ihm dies ein gutes Gefühl beschert – vergleichbar mit einer Beförderung oder Gehaltserhöhung bei uns Menschen. Zeigen Sie Ihrem Hund stattdessen, dass es auch andere Wege gibt, die ihm Erfolgserlebnisse verschaffen: üben Sie gemeinsam Tricks ein oder verstecken Sie einen Dummy auf dem Spaziergang, den Sie gemeinsam suchen. Legen Sie Ihrem Hund außerdem Regeln auf, wie er sich beim Entgegenkommen anderer Hunde verhalten soll und bieten ihm damit ein Alternativverhalten. Machen Sie Ihren Hund frühzeitig ansprechbar und führen ihn mit einer gut etablierten “bei Fuß” Übung kontrolliert vorbei. Dies kann ein riesiges Erfolgserlebnis und damit ein unfassbar positives Gefühl für Ihren Hund bedeuten!
Ritualisiertes Verhalten
Hat Ihr Hund in der Vergangenheit damit begonnen, aus seiner ganz individuellen Motivation, wie beispielsweise Schmerz, heraus ein Verhalten zu zeigen, dass in einer Leinenaggression mündete, so kann es passieren, dass er diese Leinenaggression auch weiterhin zeigt, auch wenn er gar keine Schmerzen mehr empfindet. In diesem Fall spricht man von einem ritualisierten Verhalten. Die Situation, in der Ihr Hund versuchte, andere Hunde auf Abstand zu halten, hat dann so häufig zum Erfolg geführt, dass es irgendwann ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken – ritualisiert – abgelaufen und damit zur Gewohnheit geworden ist. Auch, wenn das Symptom (Schmerz) mittlerweile behoben wurde, kann das Verhalten also durchaus noch weiterhin gezeigt werden.
Daher ist es in jedem Fall ratsam, eine Leinenaggression mit einem guten Hundeverhaltensberater oder Hundeverhaltenstherapeuten anzugehen, bei dem Sie sich wohl und gut aufgehoben fühlen. Eine gute Maßnahme wäre immer, zuerst die Ursache zu beheben. Durch ritualisierte Verhaltensweisen, Fehlverknüpfungen oder negativen Erfahrungen kann das unerwünschte Verhalten Ihres Hundes aber dennoch weiter bestehen bleiben. Hierzu sollte dann mit dem Experten ein Lösungsansatz erarbeitet werden, der Ihnen neben einem guten Trainingsplan zeigt, wie Sie sich im Notfall verhalten sollten und Sie auf den Alltag vorbereitet, in denen Training nicht immer so gut umzusetzen ist, wie wir es uns in der Theorie vorstellen. Mit solch einem Plan werden Sie für Training und Alltag gut gewappnet sein!